Der Süßwasserpolyp (griechisch Hydra):scheinbar primitiv - aber oho!
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Bei den Süßwasserpolypen, um die es hier primär gehen soll, handelt es sich keineswegs um einen abschätzigen Begriff von Kommissar Schimanski für die Vertreter der Duisburger Wasserschutzpolizei, wie man auch meinen könnte, sondern um kleine, ca. 1 - 2 cm lange, im Süßwasser lebende Hohltiere. Man findet die unscheinbaren Tierchen auf einer Unterlage sitzend in stehenden, aber auch in langsam fließenden Gewässern. Selbst in kalten und warmen Quellen und noch in 300 m tiefen Seen trifft man sie an. Pflanzenreiche Gewässer werden aber bevorzugt besiedelt, weil der Süßwasserpolyp dort so schön auf den Blättchen und Stängelchen der Wasserpflanzen Platz nehmen kann und reiche Beute vorfindet. Auch auf den Ästen und Zweigen von toten, im Wasser versunkenen Bäumen sitzen die kleinen Polypen oft in Massen. Die Hohltiere: Zweischichtwesen mit SackdarmBevor es allzu konkret wird, zu Beginn erst mal ein paar allgemeinere Infos über die Hohltiere, zu denen neben den Süßwasserpolypen auch die Quallen, Seeanemonen und Korallen gerechnet werden:Die Coelenterata (Hohltiere), die in der anglo-amerikanischen Fachliteratur als systematische Kategorie meist mit den Cnidaria gleichgesetzt werden, gehören zu den einfach gebauten vielzelligen Organismen ohne echte Organe. Dennoch haben sich bei ihnen etliche Zellen mit unterschiedlicher Funktion differenziert. Zunächst der grobe Aufbau der Tiere: Ihr Körper ist radiärsymmetrisch gebaut (im Gegensatz zu unserer Bilateralsymmetrie). Und es handelt sich bei ihnen um "Sackdarmwesen", d.h., sie besitzen eine Mundöffnung, die zu einem verdauenden Hohlraum (Gastralraum) führt. [Man denke an einen abgedichteten Sack oder eine Vase mit mehr oder weniger dicker Wandung. Auch da gibt's ja einen inneren, nach außen hin abgegrenzten Hohlraum, in dem die Verdauung stattfinden könnte, wenn man ein paar Verdauungssäfte dazukippt.] Der "Sackdarm" fungiert als sogenanntes Gastrovaskularsystem. Dieser kompliziert klingende Begriff deutet an, dass der Hohlraum nicht nur der Verdauung dient (griech. gastro = hohl; Gaster = Magen), sondern dass in ihm gleichzeitig - wie über unsere Blutgefäße (lat. vasculum = kleines Gefäß) - die Stoffverteilung erfolgt, denn ein Nährstoffe transportierendes Blutgefäßsystem haben die Coelenteraten nicht. Die Mundöffnung der Hohltiere dient gleichzeitig als After. ["Igittigitt!" "Kotz!" Wenn das bei uns auch so ablaufen würde!?! Dennoch: die unappetitliche Methode, unverdauliche Nahrungsreste wieder über die Mundöffnung nach außen zu würgen, ist gar nicht so selten im Tierreich: Vor allem bei den etwas ursprünglicher gebauten Vielzellern, die gar keinen After haben, ist sie verbreitet ...] Die Wandung des Körpers der Hohltiere besteht aus zwei Gewebsschichten: dem äußeren Ektoderm (in neueren Lehrbüchern immer öfter auch als Epidermis oder Ektodermis bezeichnet) und dem inneren Entoderm (der Entodermis oder Gastrodermis). Zwischen diesen beiden Schichten bildet sich eine zellfreie Substanz aus, Mesogloea genannt. [Das Wort allein klingt schon so schön schwabbelig nach Wackelpudding. Und tatsächlich: sowas Ähnliches wird's wohl auch sein.] Bei der Mesogloea handelt es sich um eine gallertige Stützschicht, bestehend aus einer wasserhaltigen Grundsubstanz, in die Mucopolysaccharide und Eiweißfasern (meist Kollagen) eingelagert sind; im einfachsten Fall um eine Art Kitt zwischen dem Ekto- und Entoderm. Doch ganz zellenlos ist diese Zwischenschicht nicht: Nervenzellen mit ihren Fortsätzen liegen ihr auf und bilden ein einfaches Nervennetz. (Ein Gehirn gibt's bei Hohltieren noch nicht.) Der Bau einer Hydra im ÜberblickAls Beispiel für ein übersichtlich gebautes Hohltier diene uns der Süßwasserpolyp - die gute, alte Hydra, wie wir sie hier im Schnittbild (Längsschnitt) sehen:Der Körper ähnelt einem langgestreckten, schlauchförmigen Becher mit 4 bis 12 (gelegentlich sogar bis zu 20) Tentakeln - Fangarmen, die am oberen Ende des Süßwasserpolypen als lange Auswüchse die Mundöffnung umstehen. (Die gelegentlich beobachtete hohe Zahl an Tentakeln mag dabei auf die als "multi-headed" bezeichneten mehrköpfigen Mutanten der Polypen, etwa die Mutanten von Hydra viridissima und Hydra magnipapillata zurückzuführen sein.) Deutlich erkennt man im Schnittbild die zwei Gewebsschichten, aus denen die Körperwandung des kleinen Hohltiers aufgebaut ist: das Ektoderm (die Ektodermis oder Epidermis) und das Entoderm (die Entodermis oder Gastrodermis). Der innere Hohlraum kann, wie man sieht, bis in die Tentakel hineinreichen. Als Besonderheiten sind in der Wandung noch die Hoden, ein Eierstock und als Auswuchs eine Knospe erkennbar. (Darüber später mehr.) Mit seiner Fußscheibe (Basalplatte), die ein klebriges Sekret absondert, sitzt der Polyp dem Untergrund auf (oder - zum Entsetzen jedes Aquarianers, der um seine Jungfische fürchtet - an der Wand des Aquariums), oft auch auf einer Wasserpflanze und lauert auf Beute. Die Rolle der Tentakeln und des Hypostoms bei der NahrungsaufnahmeMit den Fangarmen (Tentakeln), die am oberen Ende um die Mundöffnung herum angeordnet sind, angelt sich der Polyp seine Beute (Wasserflöhe oder anderes Kleingetier bis hin zu winzigen Jungfischen), um diese dann in die Mundöffnung zu stopfen. So ein Süßwasserpolyp ist ganz schön gefräßig: Fast jedes bewegliche kleinere Objekt wird gepackt, das in den Bereich der Fangarme gerät. Wie aber gelingt es dem Polypen, die für ihn riesigen Nahrungsbrocken durch die winzige Mundöffnung zu zwängen? Des Rätsels Lösung: Hydra besitzt gar keinen echten Mund, nur eine kegelförmig vorgewölbte Struktur, das Hypostom. Bei jeder Nahrungsaufnahme reißt das Gewebe des Hypostoms ein, so dass die Öffnung groß genug wird, wenn der Polyp sich einen kompletten Wasserfloh einverleibt. Die eingerissenen Stellen des Hypostoms verheilen nach der Nahrungsaufnahme recht schnell wieder. [Wenn wir wie Obelix ein halbes Wildschwein in einem Stück in unseren Magen verfrachten wollten, müssten wir den Mund ja auch ziemlich weit aufreißen, so dass von den Wangen nicht viel übrig bliebe! Ganz abgesehen davon, dass unsere Speiseröhre nicht dehnbar genug wäre, um das halbe Schwein unzerkaut in den Magen zu transportieren. Und auch Magen und Darm müssten bei uns viel dehnbarer sein, um das Riesenteil aufzunehmen. Was für ein Glück, dass wir Zähne haben! Hydra jedoch hat mit vergleichbar großen Brocken keinerlei Probleme - auch ohne Kauapparat.]Die Zelltypen des Süßwasserpolypen und ihre FunktionKommen wir nun zu den einzelnen Zelltypen in Großaufnahme (und zu ihrer jeweiligen Funktion):
a) EpithelmuskelzellenSowohl im Ektoderm als auch im Entoderm liegen Epithelmuskelzellen. Diese Zellen haben zwei Funktionen: Sie fungieren als Epithelzellen, das heißt, sie helfen, den Körper nach außen oder innen abzugrenzen und ihn gegen krankmachende Keime zu schützen, und sie besitzen an ihrer Basis (d.h. auf jener Seite, die der Stützschicht zugekehrt ist) kontraktile Eiweißfasern, die sich zusammenziehen können (wie die Fasern unserer Muskeln). Dabei sind die Muskelfasern aller im Entoderm liegenden Epithelmuskelzellen ringförmig angeordnet, so dass die Fasern zusammen vielen Gummi-Ringen ähneln, die man dicht an dicht auf eine Röhre gezogen hat. Im Ektoderm sind die Muskelfasern der dort befindlichen Epithelmuskelzellen dagegen in Längsrichtung des Polypenkörpers angeordnet (als ob man hier die Gummi-Ringe aufgeschnitten und nach oben und unten hin langgezogen hätte, so dass sich hier senkrecht gelagerte Faserbündel innerhalb der Röhrenwandung ergeben).Ziehen sich die Ringmuskelfasern im Entoderm zusammen (bei geschlossener Mundöffnung, versteht sich; sonst würde überwiegend nur Wasser ausgepresst!), wird der Polypenkörper schlanker und streckt sich, kontrahieren sich die Längsfasern im Ektoderm (bei gleichzeitiger Erschlaffung der Ringmuskeln), schnurrt der Polyp zusammen und wird dicker. Einige der ektodermalen Fasern sollen durch die Stützschicht hindurch sogar in direktem Kontakt mit den entodermalen Epithelmuskelzellen stehen, wodurch die Muskeltätigkeit insgesamt besser koordiniert wird. Durch das Zusammenspiel beider Fasersysteme sind jedenfalls die vielfältigsten Bewegungen möglich. [Vielleicht nicht ganz so flott wie bei uns, aber für den Polypen reicht's.] b) Nährmuskelzellen und DrüsenzellenIm Entoderm nennt man die Epithelmuskelzellen auch Nährmuskelzellen oder Fresszellen, denn dort haben sie - man höre und staune - noch eine weitere Funktion: Sie dienen der Nahrungsaufnahme per Phagocytose (also fast so wie bei Einzellern, etwa einer Amöbe, die mit ihren Scheinfüßchen eine einzellige Alge umfließt). Zwei Geißeln pro Fresszelle erleichtern ihnen diese Aufgabe, denn mit ihrer Hilfe lassen sich kleine Nahrungsbröckchen aus dem verdauenden Hohlraum herbeistrudeln (oder auch unverdauliche Reste in Richtung Mundöffnung und dann nach draußen befördern). Und damit die Nahrung auch richtig gut verdaut werden kann, gibt's im Entoderm noch eine Menge Drüsenzellen, die Verdaungssäfte absondern: schlankere Zellen mit vielen enzymhaltigen Bläschen, die ihren Inhalt in den verdauenden Hohlraum abgeben. Dort findet zunächst die extrazelluläre (Vor-)Verdauung statt, bei der mit Hilfe der abgesonderten Sekrete die aufgenommene Beute in kleinste Teile zerlegt wird - in quasi passgerechte Stückchen für die Nährzellen, in deren Nahrungsvakuolen es dann zur intrazellulären (End-)Verdauung kommt.c) NesselzellenIm Ektoderm liegen auch noch andere Zellen: Neben den Sinneszellen (erkennbar an ihren "Sinnesstiftchen", mit deren Hilfe die Sinneszellen auf Reizung von außen reagieren können) sind dies vor allem Nesselzellen (Nematocyten oder Cnidocyten). Letztere enthalten eine der schärfsten Waffen des Süßwasserpolypen, die Nesselkapseln (Nematocysten oder Cniden), die bei Berührung des Cnidocils, eines borstenförmigen Auslösers, sofort explodieren und dabei einen mehr oder weniger langen Nesselfaden ausschleudern. [Au weia! Mal wieder zwei überaus ähnliche Fachbegriffe, die kaum auseinanderzuhalten sind: Nematocyte und Nematocyste! Aber nicht verzagen: die Silbe "-cyte" steht für 'ne Zelle (wie im Begriff Cytologie), während "-cyste" auf was Eingekapseltes hindeutet.] Teilweise werden mehrere der kleineren Nematocyten von einer der größeren Epithelmuskelzellen umhüllt. Besonders in den Tentakeln des Polypen befinden sich ganze Batterien von Nesselkapseln. Bis zu 24 Nematocysten will man dort in einer einzigen "Batteriezelle" gezählt haben! An der Anzahl der aus der Tentakeloberfläche herausragenden Cnidocile kann man abschätzen, wie viele Nematocyten auf engstem Raum existieren müssen. Das Cnidocil ist übrigens keine simple Sinnesborste. Es besteht aus einer langen, starren, weit herausragenden Cilie (Wimper), die den eigentlichen Auslösestift darstellt. Wenn man genauer hinschaut, ist diese Cilie aber unten noch von einem Kranz kurzer Stereocilien (Mikrovilli) umgeben. Die Wandung der Nesselkapsel selbst besteht genau genommen aus zwei Wänden: einer äußeren, dickeren Wand, die einen absprengbaren Deckel (Operculum) enthält, und einer dünneren inneren Wand, die sich nach innen einstülpt und den schlauchartigen Nesselfaden bildet, der in der Kapsel liegt und darauf wartet, ausgeschleudert zu werden. Das Innere der Kapsel und des Schlauchs wird von der Kapselflüssigkeit ausgefüllt.Der Fachmann unterscheidet bei Hydra nach Bau und Funktion drei Typen von Nematocysten:
Bei den im Meer vorkommenden Nesseltieren gibt es noch eine Vielzahl weiterer Nesselkapseltypen, auf deren verwirrende Namengebung (Anachrophoren, Acrophoren, Spirotelen, Aspirotelen, Ptychonemen, atriche, basitriche, merotriche, holotriche oder apotriche Isorhizen, microbasische oder macrobasische Mastigophoren, Eurytelen, Semiophoren, Spirocysten usw.) wir hier nicht näher eingehen wollen. [Mann, o Mann! Da haben sich einige Experten aber mal wieder einen abgebrochen…] Heidelberger Wissenschaftlern ist es jüngst gelungen, sämtliche Proteine der Nesselzellen von Hydra magnipapillata zu analysieren, wobei sie feststellten, dass es sich zum einen um Faserproteine aus Kollagen und "Elastomeren" handelt, die ein bindegewebsartiges, elastisches Eiweißgeflecht bilden, das die Nesselkapselwandung stabilisiert, zum andern um einen komplexen Cocktail von bisher größtenteils unbekannten Giften, die über den Nesselfaden dem Beutetier injiziert werden. Die Forscher konnten zeigen, dass die Entladung der Nesselkapsel unter einem extrem hohen Druck von 15 Megapascal erfolgt, was erklärt, warum der Stilettapparat in der Lage ist, selbst Panzer von Krebstieren zu durchschlagen. Dabei werden Beschleunigungen von 5.000.000 g erzeugt [zur Erinnerung: 1 g = 9,81 m·s−2], und das Stilett wird - ähnlich wie eine Harpune - mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit innerhalb von 700 Nanosekunden herausgeschleudert. Hinzu kommt bei den Penetranten die Injektion des Giftcocktails, der das Nervensystem der Beutetiere lähmt und deren Zellen zerstört. d) Interstitielle ZellenSonst noch was? Ach ja: Im Ektoderm liegen noch viele kleine rundliche Zellen, die man interstitielle Zellen (oder kurz: I-Zellen) nennt. Diese Stammzellen sind noch nicht völlig differenziert und bleiben ein Leben lang teilungsfähig. Aus ihnen werden je nach Bedarf neue Nervenzellen, Drüsenzellen oder Keimzellen und vor allem Nesselzellen gebildet, denn deren Verschleiß ist enorm. Bei der Produktion neuer Nesselzellen entstehen aus den I-Zellen zunächst die Nesselkapselbildungszellen (Cnidoblasten), in denen sich dann die Nesselkapseln ausdifferenzieren. Erst die Zellen, die vollständig ausgebildete Nematocysten enthalten, darf man streng genommen als Nematocyten bezeichnen. [Na, ist der Unterschied zwischen Nematocyten und Nematocysten jetzt endlich klar?]Die ungeheure Regenerationsfähigkeit der PolypenGeradezu sprichwörtlich ist die Regenerationsfähigkeit der Polypen: Brutale Forscher haben sich nicht gescheut, eine Hydra in 200 Einzelteile zu zerlegen, und dabei festgestellt, dass jedes 0,2 mm große Teilstück dank der I-Zellen wieder zu einem kompletten Polypen heranwächst, sofern sich im Teilstück mindestens 300 Zellen befinden. Aber auch sonst werden mit Hilfe der I-Zellen ständig neue Zellen gebildet, die vor allem in Richtung Kopf oder Fuß verschoben werden. Dennoch behält der Polyp seine ursprüngliche Körpergröße in etwa bei, denn überzählige Zellen wird er auf elegante Weise los: Er produziert Tochterknospen in einer Knospungszone, die sich im unteren Körperdrittel befindet. (Dazu weiter unten mehr.) Einige Biologen behaupten sogar, dass die I-Zellen bis zu 75 Prozent aller Zellen des Polypen ausmachen. Deswegen scheint Hydra nahezu unsterblich zu sein. Experten können bestätigen, dass Süßwasserpolypen etliche Jahrzehnte überlebt haben, ohne an Altersschwäche zu sterben - es sei denn, man geht noch brutaler vor und bestrahlt sie mit Röntgenstrahlen: Das überleben auch die I-Zellen nicht. Hat man die I-Zellen vollständig entfernt, ist eine Regeneration des Nervennetzes für den Polypen nicht mehr möglich. Ohne das Nervennetz aber kann Hydra keine Beute mehr fangen und muss verhungern.Unzählige weitere Versuche mussten die Tierchen über sich ergehen lassen: Durch wiederholte gezielte tiefe Einschnitte durch die Mundscheibe bis weit nach unten oder andere Manipulationen (z.B. Reaggregations-Experimente) wurden "vielköpfige" Monster erzeugt. Selbst durch ein feines Sieb hat man die armen Tiere gepresst und beobachtet, wie sich die völlig durcheinandergewirbelten Zellen nach und nach wieder zu einem halbwegs normalen Polypen zusammenschlossen. Oder man setzte die Hydren einer konzentrierten Salzlösung aus und zentrifugierte sie darin so lange, bis aus den normalen Polypenkörpern nur noch kleine Zellhaufen geworden waren, um daraufhin zu beobachten, dass aus diesen Zellhaufen dank der I-Zellen wieder neue Polypen entstanden. Doch blieben solche Regenerationsversuche à la Frankenstein, die zum Teil auch filmisch dokumentiert wurden, eher die Ausnahme. Dennoch: Die aktuelle Forschung erhofft sich durch derartige Untersuchungen Aufklärung darüber, welche chemischen Stoffe für den Zellkontakt, die Herstellung eines geordneten Zellverbandes und die korrekte Wiederausbildung des gesamten Polypenkörpers sorgen. Im Fachjargon: "Wir analysieren bei Hydra, wie dissoziierte Einzelzellen wieder Epithelien aufbauen und isolieren die Moleküle, die für die Adhäsivität und Achsenbildung verantwortlich sind." Nach neueren Forschungsergebnissen aus Israel sind aber nicht nur Signalmoleküle für die korrekte Ausrichtung des Polypenkörpers aus einem Zellhaufen zuständig, sondern auch die Aktin- und Myosin-Filamente des Cytoskeletts. Diese lassen sich nicht nur im Innern der einzelnen Polypenzellen finden, nein, sie verbinden auch die Zellen miteinander und spielen daher eine nicht unwichtige Rolle bei der Morphogenese. Ja, die Ausrichtung der Körperachse des Polypen scheint von der Lage der Filamente aller benachbarten Zellen beeinflusst zu werden. Selbst für zellbiologische Hochschul-Praktika muss der Süßwasserpolyp als Modellorganismus herhalten. Kostprobe aus dem Inhalt eines schon vor über 20 Jahren (nämlich im Sommersemester 1999) abgehaltenen Praktikums für Bio-Studenten der Technischen Universität Darmstadt: "Am Beispiel des einfachen Metazoon Hydra wird eine komplette zelluläre Analyse des Organismus durchgeführt, die Zellzyklusbestimmungen, Wachstumsraten, Differenzierungskinetiken von Stammzellen und de novo-Musterbildungsprozesse einschließt. Gene des Cadherin-Zelladhäsionskomplexes, der Wnt/Wg-Signaltransduktionskaskade und der Mesoderminduktion werden durch in-situ Hybridisierung und Antikörperstudien in ihren Expressionsdomänen bestimmt. Proteine, die an der Exocytose von Nematocyten beteiligt sind, werden isoliert und auf zellulärer Ebene analysiert. Es wird außerdem eine Einführung in den heterologen PCR-Screen mit degenerierten Primern für phylogenetische Analysen von Signalmolekülen gegeben." [Hä? Wie bitte? Da merkt auch ein guter Leistungskursschüler erst mal, wie wenig man doch auf der Schule in Bio lernt!] Das Erbgut des Süßwasserpolypen bietet manche ÜberraschungIm März 2010 gaben deutsche, österreichische, japanische und amerikanische Wissenschaftler in der Zeitschrift Nature bekannt, dass es ihnen gelungen sei, das Genom des Süßwasserpolypen vollständig zu entschlüsseln. Seit Ende Juli 2004 waren von Forschern der Universitäten München, Kiel, Heidelberg, Wien und Innsbruck unter Mithilfe von zwei Genom-Instituten in den USA und des Labors für DNA-Analysen im japanischen Nationalen Institut für Genetik sage und schreibe 1,2 Milliarden Basenpaare der DNA von Hydra magnipapillata - der bei Genetikern beliebtesten Hydra-Art - sequenziert worden. Anschließend verglichen die Experten die entschlüsselten Hydra-Sequenzen noch mit der Abfolge der DNA-Bausteine bei höheren Tieren und beim Menschen. Zu ihrer eigenen Überraschung stellten sie fest, dass das Erbgut des Polypen unerwartet groß und ähnlich komplex wie das der Wirbeltiere war, und es wurde deutlich, in welchem Maße das genetische Repertoire zwischen den einfach gebauten Nesseltieren, die schon seit über 600 Millionen Jahren existieren, und den höheren Tieren einschließlich des Menschen konserviert ist. Der Süßwasserpolyp besitzt demnach wie die Wirbeltiere einen Satz von rund 20.000 Genen, die dafür sorgen, dass alle wesentlichen molekularen Schalter für die Bildung der Epithelgewebe, der Muskulatur, der Stammzellen sowie des Nerven- und Immunsystems bereits bei diesem einfachen Vielzeller vorhanden sind. Damit kann der Polyp in vielen biologischen Instituten als Modellorganismus für die Entwicklung der Baupläne höherer Gewebetiere dienen. Oder wie es in einer Pressemitteilung der Uni Heidelberg heißt:"Die Entschlüsselung des Hydra-Genoms ist ein weiterer Schritt zum Verständnis des molekularen "Werkzeugkastens", der der Evolution von Tieren und Mensch zugrundeliegt. Ziel ist es, eine der zentralen Fragen der Biologie zu beantworten: Was macht den Grundtypus eines tierischen Bauplans aus und wie haben sich daraus alle komplexeren Typen entwickelt?Doch das ist noch längst nicht alles: Forscher der Uni Kiel entdeckten 2008 eine Genfamilie, die für die Tentakelbildung bei Süßwasserpolypen verantwortlich ist, wobei die betreffenden Erbanlagen zu den so genannten "verwaisten", von der Forschung bislang eher vernachlässigten Genen (engl. "orphan" oder "taxon related genes") gehören, die nur in einer bestimmten Tiergruppe vorkommen und keinen Genen in anderen Tiergruppen zugeordnet werden können, aber innerhalb der Evolution als "neue" Erbanlagen einen erheblichen Anteil an der Ausprägung artspezifischer Merkmale haben. 5 bis 10% des Genoms aller Organismen soll aus solchen "taxon related genes" bestehen, natürlich auch bei den Nesseltieren. Die Wissenschaftler stellten fest, dass die Übertragung eines "verwaisten" Gens von einer Hydra-Spezies auf eine andere ein artspezifisches Merkmal verändern konnte. Untersucht wurden die eng verwandten Polypenarten Hydra oligactis und Hydra vulgaris. Während bei letzterer alle fünf Tentakeln gleichzeitig und symmetrisch wachsen, tun sie dies bei Hydra oligactis nicht. Übertrugen die Forscher jedoch ein Gen, das für das Orphan-Protein "Hym301" kodiert und für die Tentakelbildung der ausknospenden Tochterpolypen benötigt wird, von Hydra oligactis auf Hydra vulgaris, wuchsen den Tochterindividuen von Hydra vulgaris nicht mehr wie zuvor symmetrische, sondern wie bei der anderen Art irreguläre und unsymmetrische Tentakeln. Die Untersuchungsergebnisse könnten darauf hindeuten, dass die Anpassung an bestimmte Lebensräume, die ja bei der Entstehung neuer Arten eine große Rolle spielt, mehr als bislang angenommen vom Wirken solcher "verwaisten" Gene abhängt. Insofern liefern unsere vermeintlich "primitiven" Süßwasserpolypen womöglich einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis zentraler Prozesse der Evolution. [Super!] Die Kieler Biologen sind ferner der Ansicht, dass ein Gen namens "FoxO", das Hydra unsterblich macht, auch dem Menschen ein hohes Alter bescheren könnte, denn dieses Gen, dass nicht nur in Süßwasserpolypen, sondern in allen Tieren bis hin zum Menschen vorkommt, steuert die Bildung von Stammzellen. Ist das "FoxO"-Gen inaktiv, besitzen die betroffenen Organismen weniger Stammzellen und wachsen langsamer, ja auch die Immunreaktionen werden negativ beeinflusst. Beim Menschen verlieren mit zunehmendem Alter mehr und mehr Stammzellen die Fähigkeit, neue Zellen zu bilden. Alterndes Gewebe kann sich deswegen kaum noch regenerieren. Der Tod ist dadurch vorprogrammiert. Der winzige Süßwasserpolyp dagegen zeigt keine Altersschwäche und ist potenziell unsterblich. Aber die ungeschlechtliche Vermehrung durch Knospung (s.u.) kann nur mit Hilfe der sich ständig teilenden I-Zellen erfolgen. Ginge durch Mutation des Gens "FoxO" die normale Teilungsfähigkeit dieser Stammzellen verloren, könnte auch unsere nahezu unsterbliche Hydra sich nicht mehr vermehren. Grüne Süßwasserpolypen mit Algen als "Untermietern"Eine besondere Abart des Süßwasserpolypen, der grüne Süßwasserpolyp, wissenschaftlich Chlorohydra viridissima oder Hydra viridis genannt, beherbergt in den Entodermzellen sogar einige artfremde "Untermieter": einzellige Grünalgen (so genannte Zoochlorellen), und zwar so viele, dass der Polyp durch sie insgesamt grün gefärbt erscheint. Abraham Trembley, der Chlorohydra im 18. Jahrhundert näher beschrieb, hatte wegen der Grünfärbung noch seine Schwierigkeiten zu entscheiden, ob dieser Polyp eine Pflanze oder ein Tier ist. Die Regenerationsfähigkeit schien auch eher für eine Pflanze zu sprechen. Doch die aktive Fortbewegung per "Handstandüberschlag" und das Fangen und Verdauen von Wasserflöhen deutete letztlich auf ein Tier. Heute weiß man, dass es sich bei den grünen Algen um Endosymbionten handelt, die in intrazellulären Vakuolen des Polypen hausen. Die Zoochlorellen versorgen Chlorohydra mit zusätzlichem Sauerstoff und wohl auch mit einem Teil des von Ihnen gebildeten Zuckers. Manche der Algen werden, wenn nötig, sogar verdaut, wie ein Forscher beobachtet haben will (d. h., die Zoochlorellen dienen in schlechten Zeiten als eine Art Nährstoffreserve). Aber sicher werden auch einige Stoffe, die der Polyp liefert, so etwa Kohlendioxid oder Phosphate, zum Wohle der Algen genutzt. Nach neueren deutschen Forschungsergebnissen enthält der grüne Süßwasserpolyp sogar ein Gen der Alge Chlorella, das immer dann aktiviert wird, wenn es beim Polypen zur Ei-Bildung kommt. Dies liegt sicher auch im Interesse der kleinen Alge, die im Inneren der Eizelle steckt. Denn pflanzt sich Chlorohydra fort, ist auch ihre Weiterexistenz und Verbreitung gesichert. Das alles sind eindeutige Kennzeichen einer echten (Endo-)Symbiose, bei der beide Partner der Lebensgemeinschaft mehr oder weniger gut voneinander profitieren.Der Unterschied zwischen Polyp und MeduseÜbrigens: Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Arten von Coelenteraten - von millimeterkleinen Polypen bis zu metergroßen Quallen (Medusen). Man kann sagen, dass die Nesseltiere in zwei verschiedenen Zustandsformen auftreten: als festsitzender Polyp oder als freischwimmende Qualle. (Dreht man einen Polypen um und drückt ihn von beiden Enden aus breit, dann hat man schon fast eine Qualle vor sich. So ungefähr jedenfalls.)
Die Fortpflanzung der Nesseltiere und ihr GenerationswechselQuallen geben Eizellen oder Spermien ins Wasser ab. Dort findet die Befruchtung der Eier statt, und es entwickeln sich aus den Zygoten (den befruchteten Eizellen) - nach Durchlaufen eines freischwimmenden, bewimperten (oder bereits tentakeltragenden) Larvenstadiums - kleine Polypen, die sich am Boden festsetzen. Durch Knospung entstehen aus ihnen weitere Polypen. Oft bilden sich sogar große, zusammenhängende Kolonien aus zum Teil unterschiedlichen Polypen (so beim Polypenstock von Obelia). Nicht selten lassen sich dabei Fresspolypen, mundlose Wehrpolypen (mit vielen Nesselkapseln) und Medusen produzierende Geschlechtspolypen unterscheiden. Der Fachmann spricht in solchen Fällen von Polypenpolymorphismus. Alle Polypen eines Stocks stehen über das Gastrovaskularsystem miteinander in Verbindung, so dass kein spezialisierter Einzelpolyp Hunger leiden muss, auch wenn er selber keine Mundöffnung mehr besitzt. Es können aber auch frei bewegliche Medusen von einem einzeln stehenden Polypen abgeschnürt werden (das sieht dann so aus, als ob sich ein Teller nach dem anderen aus einem Tellerstapel davonmachen würde). Man nennt diesen Vorgang Strobilation. Recht häufig ist es sogar so, dass die asexuell erzeugten Generationen (etwa die vom Polypen abgeschnürten Medusen) sich bei der nächsten Fortpflanzung sexuell vermehren. Wenn sich solche geschlechtlich und ungeschlechtlich fortpflanzenden Generationen regelmäßig abwechseln, nennt der Fachmann dies Generationswechsel (in diesem Fall noch etwas genauer: Metagenese). [Man stelle sich nur mal vor, unsere Großmütter hätten sich in mehrere Scheiben zerschnitten, und jede Scheibe wäre zu einem Nachkommen herangewachsen, etwa zu unserer Mutter oder unserem Vater. Die wiederum würden sich ganz normal geschlechtlich fortgepflanzt haben (was sie ja wohl auch taten), wobei wir entstanden sind. Dann wären wir jetzt wieder dran, uns ungeschlechtlich in Scheiben zu schneiden, um die nächste Geschlechtsgeneration zu erzeugen, usw. usw. Unglaublich! Aber so ungefähr machen es viele Nesseltiere.]Die Knospung und die geschlechtliche Fortpflanzung bei HydraDer Süßwasserpolyp Hydra existiert allerdings nur als ein einzelnes Individuum, als Polyp eben, ohne je Kolonien oder Medusen zu bilden (was eher die Ausnahme bei den Hohltieren ist). Seine Fortpflanzung erfolgt auf zweierlei Weise: Er kann sich ungeschlechtlich durch Knospung vermehren, wobei sich die Körperwandung mit all ihren Schichten an einer Stelle nach außen vorwölbt und ein kleinerer Polyp als seitlicher Auswuchs entsteht. Wenig später kommt es zur Knospenablösung, und der Tochterpolyp kann als eigenständiges Individuum weiterleben. Die andere Möglichkeit: Hydra betreibt echten Sex mit männlichen und weiblichen Geschlechtszellen: Dazu entwickeln sich (aus Zellen, die ursprünglich aus dem Entoderm stammen) im Ektoderm des oberen Körperdrittels als Vorwölbungen Hoden mit Spermien und etwas weiter unten Ovarien mit je einer Eizelle, und dies an ein und demselben Tier! Kein Zweifel: Unser Süßwasserpolyp ist ein Zwitter. [Unfassbar! Der Polyp wird's doch wohl nicht mit sich selbst treiben wollen, oder? Offenbar nicht, denn meist stehen noch einige Nachbarhydren als potentielle Geschlechtspartner in unmittelbarer Nähe parat, mit denen sich ins Wasser entlassene Geschlechtszellen austauschen lassen.]Bezüglich der sexuellen Fortpflanzung kam es noch zu einer weiteren überraschenden Entdeckung, die mit der Meiose des Süßwasserpolypen zu tun hat, die ja - wie es bei jedem sich geschlechtlich fortpflanzenden Lebewesen nötig ist - den normalen, doppelten (diploiden) Chromosomensatz der Körperzellen halbieren muss, wenn es zur Produktion der Geschlechtszellen kommt, damit sich nach der Verschmelzung von Eizelle und Spermium, die beide einen einfachen (haploiden) Chromosomensatz besitzen, in der nächsten Generation wieder ein normaler Organismus mit doppeltem Chromosomensatz entwickeln kann: Forscher der Universitäten Würzburg, Kiel und Lyon konnten nachweisen, dass die Proteine des so genannten Synaptonemal-Komplexes - einer Struktur, die dafür verantwortlich ist, dass der doppelte Chromosomensatz während der Meiose fehlerfrei halbiert wird - sich beim Süßwasserpolypen und bei der Maus so sehr ähneln, dass davon auszugehen ist, dass die Entstehung dieses Komplexes in der Evolution ein einmaliges Ereignis gewesen sein muss. Dass heißt wiederum: Mit Hilfe von Hydra kann belegt werden, dass die Meiose während der Evolution der sexuellen Fortpflanzung wohl nur ein einziges Mal entstanden ist und nicht - wie etliche Forscher bislang annahmen - mehrfach parallel. [Was für eine wertvolle Erkenntnis. Ein dreifaches "Hoch" auf den Süßwasserpolypen!]
Weitere Infos:Andere Webseiten über Süßwasserpolypen:
Über den ersten Forscher, der Süßwasserpolypen näher studiert hat:
Hydra im Schulunterricht:
Probleme mit der Massenvermehrung von Hydren in Süßwasseraquarien:
Speziellere Forschungen und Fragestellungen
Zum Bau und zur Funktion der Nesselkapseln:
Infos über Nesseltiere:
Infos über Quallen
Webseiten über Korallen:
Fragenkataloge zur Selbstüberprüfung:
Literaturhinweise
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