Zoologisches Grundpraktikum I
Teil A, SS 2001
Institut für Zoologie Prof. Rolf Entzeroth
2. Übung
Cnidaria (Nesseltiere)
Cnidaria sind sehr einfach gebaute Metazoen, die als Polypen und/oder Medusen auftreten können. Früher wurden sie mit den Acnidaria (Ctenophora, Rippenquallen) zur systematischen Einheit Coelenterata (Hohltiere) zusammengefasst. Aufgrund der klaren Symmetrieverhältnisse ihrer Körpergestalt und ihrer reich differenzierten Epithelien mit Nerven-, Sinnes- und myofibrillenhaltigen Zellen erheben sich die Hohltiere eindeutig über das Organisationsniveau der Schwämme. Doch besitzen auch sie - wenn man von einigen recht komplexen Sinnesorganen absieht - noch keine echten Organe, die sich wie bei den höheren Metazoen (Eumetazoa) durch einen eigenständigen ontogenetischen Entwicklungsgang auszeichnen. Lange Zeit galten die Cnidaria deshalb als ursprüngliche Metazoenklasse, nach neuerer Ansicht ist ihr Körperbau jedoch sekundär in der Evolution vereinfacht worden. Die Cnidaria werden in vier Klassen eingeteilt: Anthozoa (Blumentiere), Cubozoa (Würfelquallen), Scyphozoa (Scheibenquallen), und Hydrozoa.
Von den Nesseltieren sind ca. 8500 Arten bekannt. Unvollständig aufgeklärte Entwicklungszyklen und die alle anderen Eumetazoa übertreffende Vielgestaltigkeit von Individuen ein und derselben Art (Polymorphismus) führen allerdings oft zu unterschiedlichen Angaben über die Artenzahl. Cnidaria sind vorwiegend marine Organismen (alle Anthozoa, Cubozoa und Scyphozoa). Dies gilt auch für die Mehrzahl der Hydrozoa, von denen aber einige Arten (z.B. Hydra) individuenreich im Süßwasser leben.
Die Cnidaria sind eine ungewöhnlich erfolgreiche Tiergruppe, was in erster Linie auf den Besitz von Nesselkapseln zurückzuführen ist. Sie ermöglichen ihnen einerseits die optimale Nutzung eines reichhaltigen Nahrungsangebots, andererseits beschränken sie die natürlichen Feinde auf wenige Spezialisten, hauptsächlich Gastropoda, sowie einige Fische und Seesterne. Die hohe Regenerationsfähigkeit und die häufige Symbiose mit einzelligen Algen sind wahrscheinlich weitere Gründe, die die Cnidaria zu einer der verbreitetsten aquatischen Tiergruppen werden ließen.
Polyp und Meduse bilden bei Hydrozoen und Scyphozoen die aufeinander folgenden Glieder eines Generationswechsels (Metagenese). Die Medusen entstehen auf ungeschlechtlichem Wege durch Querteilung der Polypen (Strobilation bei Scyphozoa), Knospung (bei Hydrozoa) oder Metamorphose des ganzen Polypen (bei Cubozoa). Als geschlechtliche Generation entwickeln sie Gonaden. Die aus dem befruchteten Ei entstehende bewimperte Planula-Larve oder die schon tentakeltragende Actinula-Larve setzt sich fest und wächst zu einem neuen Polyp aus. Bei vielen Formen lösen sich die Medusen gar nicht mehr als frei schwimmende Stadien vom Polypen ab, sondern erscheinen als sessile, stark reduzierte Medusoide (Gonophoren). Bei Hydra bestehen die Medusoide nur noch aus den Gonaden, so dass hier der Polyp die geschlechtliche und ungeschlechtliche Generation repräsentiert. Sowohl Polyp als auch Meduse sind diploid. Wie bei allen Metazoen wird das einzige haploide Stadium im Lebenszyklus der Cnidarier von den Gameten gebildet.
Eine hervorstechende Eigentümlichkeit vieler Cnidarier ist die Stockbildung. Durch Knospung entstehen Polypen, die mit dem Mutterpolypen in Verbindung bleiben und auf diese Weise Polypenstöcke aus vielen Tausenden von Einzelpolypen bilden. Meistens ist diese Stockbildung mit einer morphologischen und funktionellen Differenzierung zwischen den Einzelpolypen verbunden (Polymorphismus). Vielfach lassen sich dann Fresspolypen (Trophozooide), mundlose Wehrpolypen (Nematozooide), die reich mit Nesselkapseln besetzt sind, und medusenbildende Geschlechtspolypen (Gonozooide) unterscheiden. Bei den Geschlechts polypen sind Peristom und Tentakeln zurückgebildet. Da die Gastrovaskularräume aller Polypen miteinander in Verbindung stehen, werden auch die mundlosen Individuen mit Nahrung versorgt.
Die Körperstrukturen der Cnidaria können in Teilen bilateralsymmetrisch sein, grundsätzlich sind sie vier- bis n-strahlig radiärsymmetrisch um eine zentrale Hauptachse angeordnet. Diese verläuft vom proximalen Pol (Fußscheibe, animaler Pol, larvale Scheiteiplatte) zum distalen Pol (Mundfeld, vegetativer Pol, embryonale Urmundregion). Das Grundmuster eines Cnidariers repräsentiert am anschaulichsten der Polyp: ein schlauch- oder sacklörmiger Organismus der im allgemeinen mit ihrer Fußscheibe am Substrat festsitzt. Die einzige Körperöffnung, die von den ins freie Wasser hängenden Tentakeln umgeben wird, fungiert gleichermaßen als Mund und After. Die Fangarme dienen zum Beutefang. Sie sind stark dehnbar und tragen dichtsitzende Batterien verschiedenartiger Nesselzellen (Nematocysten, Cniden: z.B. Penetranten, Volventen, Glutinanten,...; an die 30 verschiedene Bauarten sind bekannt) Der Polyp entspricht dem Lebensformtypus des sessilen Tentakelfängers (Schlingers), der die unverdauten Nahrungsreste durch den Mund-After wieder herauswürgt. Vom Polypen ist die ursprünglich pelagische Meduse (Qualle) abzuleiten, deren glockenförmiger Bau sie zum Rückstoßschwimmen befähigt. Sie ist bei den metagenetischen Cnidaria (Cubozoa, Scyphozoa, Hydrozoa) Träger der Keimzellen und sorgt für die Verbreitung der Art.
In ihrer Körperarchitektur stimmen alle Hohltiere darin überein, dass eine dreischichtige Körperwand einen zentralen Hohlraum (Gastrovaskularraum) umschließt. Wie sein Name besagt, erfüllt letzterer eine Doppelfunktion: Er ist einerseits Ort der extrazellulären Verdauung (Gastro-), übernimmt aber andererseits auch die Rolle eines Verteilersystems von Nährstoffen und Abbauprodukten (-vaskular). Mit einer einzigen (Mund/After-) Öffnung mündet er nach außen. Im Bau der Körperwand lässt sich stets ein äußeres und ein inneres einschichtiges Epithel (Ektodermis und Entodermis) und eine dazwischenliegende Mesogloea unterscheiden. Ekto- und Entodermis gehen aus eigenen Bildungsgeweben (Blastemen) hervor. Das Ektoderm trägt außer den Epithelmuskelzellen noch Cnidoblasten, aus denen Nesselzellen gebildet werden, und Sinneszellen mit einer apikalen Cilie (Mechano-, Photo- oder Chemorezeptoren vor. Der Gastralraum wird begrenzt von Entoderm (Gastrodennis), das aus zwei Hauptzelltypen besteht: Drüsenzellen und Nährmuskelzellen. Die Mesogloea (Stützlamelle) bildet dagegen primär eine azelluläre Matrix, in die Zellen der Ekto und Entodermis mit pseudopodienartigen Fortsätzen hineinragen (Verankerungsfunktion). Sie besteht aus Kollagenfasern und wird von beiden Zellschichten gebildet. Wenn sekundär ektodermale Zellen in die Mesogloea einwandern, kann sie bindegewebsähnliche Struktur annehmen und - wenn es sich bei den eingewanderten Zellen um Skleroblasten handelt - Endoskelettfunktion erfüllen.
Kleine interstitielle Zellen (I-Zellen), die in Ekto- und Entodermis an der Basis der Epithelzellen liegen, sind Stammzellen, aus denen durch Differenzierung die Nerven- und Sinneszellen, die Nessel- sowie die Drüsenzellen hervorgehen. Auch die Gameten leiten sich von ihnen ab. Als multipotente Zellen sind sie für die ausgeprägten Regenerationsleistungen der Coelenteraten verantwortlich.
Nervenzellen liegen als uni-, bi- oder multipolare Neuronen an der Basis von Ekto- und Entodermis, wo sie sowohl mit Sinnes- als auch mit Epithelmuskelzellen in Kontakt treten. Bei Polypen bilden sie ein einheitliches diffuses Nervensystem, bei einigen Medusen können sie jedoch schon zu getrennten, anatomisch und funktionell verschieden differenzierten Nervennetzen zusammentreten.
Das zweifellos auffälligste cytologische Charakteristikum und exklusive Merkmal der Cnidarier sind die Nesselzellen (= Nematocyten = Cnidocyten). Sie bilden in ihrem Inneren eine der höchstspezialisierten Zellorganellen tierischer Zellen überhaupt: die Nesselkapseln (= Nematacysten = Cniden). Jede Hydra ist mit drei Typen von Nematocyten und -cysten ausgerüstet: Stilett- oder Durchschlagskapseln (= Penetranten = Stenothelen), die mit Stilett- und Nesselschlauch einem giftsezernierenden Tubulus den Cuticularpanzer kleiner Arthropoden durchschlagen; Wickelkapseln (= Volventen = Desmonemen), bei denen sich der ausgeschleuderte Tubulus, bettfederartig spiralisiert, um Borsten von Beutetieren wickelt; schließlich Klebkapseln (= Glutinanten = Isorhizen), die mit ihrem klebrigen Tubulus vorübergehende Befestigungsaufgaben bei der Lokomotion übernehmen. Hydra-Polypen können sich nämlich spannerraupenartig auf dem Substrat fortbewegen. Wickel- und Klebkapseln enthalten kein Giftsekret.
Literatur:
R. Wehner; W. Gehring (1995) Zoologie; Thieme Stuttgart
V. Storch; U. Welsch (1996) Kükenthals Leitfaden für das Zoologische Praktikum; Fischer Stuttgart; 22. Auflage
Verlauf der Übung
Bau und Verhalten des Süßwasserpolypen Hydra
1. Fertigen Sie eine Übersichtszeichnung von Hydra vulgaris an, die den radiärsymetrischen Aufbau und die Bildung der Knospe erkennen lässt. Vergleiche verschiedener Tiere zeigen Ihnen, wie eine Knospe sich bildet.
2. Tippen Sie einer Hydra mit einer Nadel oder Pinzette leicht auf den basalen Teil (= Fuß). Beschreiben sie die Reaktion des Polypen.
3. Bieten Sie den Tieren zunächst tote Nauplien von Artemia salina (Salzkrebs) und dann wenige (!) lebende an. Beschreiben Sie den Unterschied bei Kontakt mit toten und lebenden Artemien und beschreiben Sie die einzelnen Phasen des Fressvorgangs. Beschreiben Sie auch das Verhalten einer Hydra, wenn ihr Gastralraum mit Krebsen gefüllt ist und dann weitere Krebse angeboten werden.
4. Überführen Sie einen Fangarm von Hydra mit etwas Wasser auf einen Objektträger und bedecken Sie das Tier mit einem Deckglas. Achten Sie auf die Art und Anordnung der Nesselzellen in den Batteriezellen der Tentakel. Durch Zugabe von angesäuerter Methylenblaulösung wird ein Ausschleudern des Nesselfadens ausgelöst. Ziehen Sie die Lösung mit Filterpapier unter dem Deckglas durch. Zeichnen Sie einen Tentakelausschnitt und abgeschossene Nesselkapseln. Informieren Sie sich an Hand der Lehrbücher, wie sich Nesselkapseln entladen.
5. Für das Kennenlernen der verschiedenen Zelltypen von Hydra bekommen Sie Präparate. Die Zellen sind leider mit Ihren Mikroskopen schwierig zu unterscheiden. Zeichnen Sie bitte zumindest Cniden (Nesselzellen) und Epithelmuskelzellen.
Klären Sie folgende Begriffe bzw. Definitionen
Coelenteraten Cnidaria Acnidaria
Ctenophora Nesseltiere Gastralraum
Gastrodermis Epidermis Ektoderm
Entoderm Mesogloea Stützlamelle
Mesenchym Epithel Gastrovaskularsystem
Cnide Stolon Nesselzelle (Nematocyte)
Zygote Koloniebildung Nesselkapsel (Nematocyste)
Stammzellen Metagenese regulative Entwicklung
Nervennetz Nährmuskelzelle Glutinante (= Isorhiza)
Epithelmuskelzelle I-Zellen Volvente (= Desmoneme)
Hydrozoa Hypostom Penetrante (= Stenothele)
Scyphozoa
Anthozoa Generationswechsel Statocyste
Strobila Zoochlorellen Planulalarve