Morphogenese des Süßwasserpolypen Hydra

 

Der Süßwasserpolyp Hydra gehört zum Stamm der Nesseltiere (Cnidaria). Die dazu gehörenden Tiere verfügen über einen Generationswechsel, der der Fortpflanzung dient. In diesem Stamm ist der Generationswechseltyp die Metagenese, dabei erzeugt ein sessiler (festsitzender) Polyp ungeschlechtlich pelagische (schwimmende) Medusen, die wiederum geschlechtlich Polypen erzeugen. Die Tiere verfügen über einen radiärsymmetrischen Körperbau, außen liegt die Epidermis (Ektoderm) und innen die Gastrodermis (Entoderm) sowie der Gastralraum, ein Mesoderm fehlt. Zwischen den Epithelien befindet sich die Mesogloea, eine primär zellfreie Schicht aus Proteinen und Mucopolysacchariden. Der Mund, der gleichzeitig als After genutzt wird, ist umgeben von Fangarmen (Tentakeln) mit denen die Beute ergriffen wird. Der Polyp ist in drei Körperabschnitte gegliedert: Mundfeld (Peristom), sackförmiger Körper (Scapus) und Fußscheibe. Seine Stabilität erlangt der Polyp durch ein Hydroskelett, außerdem gibt es Innen- und Außenskelette aus Chitin oder Kalk (Mehlhorn, 1995).

Die Klasse der Hydrozoen umfaßt etwa 3.000 marine Arten, Hydra selbst lebt im Süßwasser. Die Keimzellen der zu dieser Klasse gehörenden Tiere entwickeln sich im Ektoderm. Zwei drittel der Hydrozoen bilden keine Medusen mehr, bei Hydra ist die Medusengeneration sogar überhaupt nicht mehr vorhanden. Die Gattung Hydra zählt innerhalb dieser Klasse zur Ordnung der Hydroida und zur Unterordnung der Athecata (Mehlhorn, 1995).

Es gibt Organismen, die besitzen die Fähigkeit, abgestorbene, verletzte, verbrauchte oder entfernte Körperzellen, Organteile oder ganze Organe vollständig oder teilweise zu ersetzen, man spricht dabei von Regenerationsvermögen. Zwei Typen von Regeneration können unterschieden werden: Die reparative Regeneration folgt nach Verlust von Körper- oder Organteilen, eine physiologische Regeneration kommt bei stetigem Verbrauch und Ersatz von Zellen zur Erhaltung der in einem Fließgleichgewicht befindlichen Körperorganisation vor. Bei Hydra gibt es beide Formen (Mehlhorn, 1995). Dieser Polyp besteht aus nur 20 verschiedenen Zelltypen, inklusive der Nerven-, Muskel- und sensorischen Zellen; er ist unsterblich und ein dauerhafter Embryo, weil eine andauernde Erneuerung stattfindet, bei der alte Zellen, sogar Nervenzellen, durch neue aus den Stammzellen in der Mitte des Körpers gewonnene Zellen ersetzt werden (Müller, 1996).

Zu den verschiedenen Fähigkeiten der Zellen, Körperteile von normalerweise entfernteren Regionen zu regenerieren, gibt es die Theorie, daß es im Polypenkörper einen Morphogen-Gradienten aus Aktivator und Inhibitor und eine unterschiedliche Verteilung von Morphogen-Rezeptoren gibt (Müller, 1996). Morphogene sind Moleküle, die in bestimmten Gebieten Zelldifferenzierungen auslösen, sie sind bei Hydra aber noch nicht identifiziert worden (Müller, 1996).

Es gibt bei Hydra einige 100.000 Zellen, jede einzelne hat eine größe Auswahl von Molekülen, die auf die Zellen in der Nachbarschaft einwirken können. Die Verteilung von solchen Signal-Molekülen und deren Rezeptoren kann einmal genetisch bedingt sein; sie können aber auch physikalischen Gesetzen wie Reaktionsgleichgewichten und Diffusion zugrunde liegen (Müller, 1996).

Die Musterbildung in einem Polypen wird zudem hierarchisch kontrolliert. An Morphogenen, deren Konzentrationen den positionellen Wert einer Zelle bestimmt, gibt es den Aktivator (A), dessen Freisetzung autokatalytisch erfolgt, den Inhibitor für die Freisetzung des Aktivators (IFA), dessen Freisetzung durch A stimuliert wird, und den Inhibitor für die Produktion des Aktivators (IPA). Die Diffusionskonstanten dieser Morphogene fallen in der folgenden Reihenfolge ab: IPA > IFA > A (Berking, 1988).

Im Tierreich ist die vegetative Fortpfanzung häufig mit hohem Regenerationsvermögen gekoppelt, bei Hydra kann sogar aus 1/200 der Körpermasse ein vollständig neues Individuum entstehen. Vorhandenes Zellmaterial wird umgeordnet und umdifferenziert, so daß anschließend Regenerate entstehen können, diesen speziellen Vorgang bezeichnet man als Morphallaxis (Mehlhorn, 1995). Der Begriff Morphogenese beschreibt lediglich die Formbildung (Wehner/Gehring, 1995), durch die bei Hydra aus nur einem der drei o.g. Körperabschnitte ein neues Tier gebildet wird.

 

 

Literatur:

© 1998