18.
Dezember 1998
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DER TAGESSPIEGELLob des LastersErstmals kompletter Hogarth-Zyklus "Marriage à-la-mode" im Alten Museum BerlinVON CHRISTINA TILMANN
Noch einen weiteren Zusammenhang sieht Claude Kreisch, Kustos der Alten Nationalgalerie und Organisator der Ausstellung, mit den Berliner Ausstellungen dieses Herbstes: Hogarths "modern moral subjects", die Bildgeschichten voller Korruption, Laster, Verbrechen, Raub und Mord, seien, befreite man sie vom Firnis der Jahrhunderte, ebenso schockierend wie die jungen britischen Wilden der "Sensation"-Ausstellung im Hamburger Bahnhof. "Vorsicht: Diese Ausstellung könnte Ihr sittliches Empfinden gefährden" habe er daher überlegt, an den Eingang zu schreiben - um sich dann aber doch lieber an Fontane zu halten, der schrieb: "Nicht jeder darf in Worte fassen, was Hogarth zu malen wagte." Der Bilderzyklus "Marriage à-la-Mode", der im Zentrum der kleinen Ausstellung im Obergeschoß des Alten Museums steht, ist hierfür ein gutes Beispiel: Die arrangierte Heirat zwischen einer reichen Bürgerstochter und einem verarmten Grafen war von Anfang an eine lieblose Angelegenheit: Während die Väter am Tisch über den Heiratsvertrag schachern, sitzen Braut und Bräutigam denkbar mürrisch und desinteressiert nebeneinander. Ein schwarzer Fleck am Hals des Bräutigams verrät die Geschlechtskrankheit, die er sich in Freudenhäusern geholt hat. Bald schon wird er seine Gewohnheit fortsetzen, während sich die frischgebackene Gräfin mit dem Notar vergnügt. Im "Tête-à-tête", dem zweiten Bild der Folge, "ahnt man schon, daß sich ihre Betätigung nicht mit Toilettengeschichten erschöpfen wird", wie der Kunstkritiker Julius Meier-Graefe schrieb. Mord und Selbstmord bilden das bittere Ende der traurigen Geschichte: Am Ende triumphiert der geizige Großvater. Was die Ausstellung in Berlin auszeichnet, ist die Tatsache, daß hier erstmals Werke einander gegenüber gestellt werden, die man normalerweise nicht zusammen sieht. William Hogarth ist im 18. Jahrhundert in ganz Europa bekannt beworden durch eine Vielzahl von Kupferstichen. Lichtenberg sorgte durch seinen Kommentar für ihre Verbreitung in Deutschland. Die Vorlagen, Zyklen großformatiger Ölgemälde, waren beim zeitgenössischen Publikum weniger beliebt: Während die Kupferstiche bald um alle Welt gingen, fand sich bei der Versteigerung des Bilderzyklus' nur ein einziger Käufer ein, der die Bilder zum lächerlich niedrigen Preis von 120 Pfund erwarb. Der Streit um das Verhältnis von Bild und Stich steht mit zwei Zitaten programmatisch am Eingang der Ausstellung: Theodor Fontane empfiehlt, Hogarth am besten am heimatlichen Herde zu bewundern, indem man sich die Kupferstichsammlung vornehme: "Es gibt keinen zweiten Maler, dem es so wenig nötig wäre, im Original gesehen zu werden. Er besticht weder durch Farbe noch durch Lichteffekte". Julius Meier-Graefe hingegen, bedeutender Kunstkritiker der Weimarer Republik, bricht eine Lanze für Hogarths "vollendete Koloristik" und stellt den "Beherrscher differenziertester Wirkungen", was die Farbbehandlung angeht, in eine Reihe mit Rubens, Canaletto und Chardin. Im direkten Vergleich fällt die Entscheidung schwer: Größere Detailgenauigkeit, stärkere Abstraktion und klarere Kompositionen auf Seiten der Stiche stehen farblichem Raffinement und atmosphärischer Dichte der Bilder gegenüber, die in der Tat an französische Maler wie Watteau und Chardin erinnert. Noch eine weitere Hogarthsche Besonderheit irritiert im Vergleich Bild zu Stich: Der Maler nahm es billigend in Kauf, daß die Stiche nach seinen Bildern seitenverkehrt erschienen, anstatt sie, wie bei professionellen Reproduktionsstechern üblich, gespiegelt zu kopieren, so daß die Wiedergabe exakt ist. Wölfflins These von der Bedeutung von rechts und links für den Bildaufbau im Hinterkopf, erscheinen die "verdrehten" Stiche erst dann irritierend, wenn man sie den Originalen entgegenhalten kann. Altes Museum, Di bis So 10 bis 18 Uhr, Katalog 38 Mark |