Hogarth's Enthusiasm Delineated:
Nachahmung als Kritik am Kennertum



Dissertation, Ruhr-Universität Bochum, 1994


Autor: Bernd W. Krysmanski



Zusammenfassung:



Die vorliegende Dissertation ist eine ikonologische Studie zu Hogarths unveröffentlichtem Kupferstich Enthusiasm Delineated (auf deutsch etwa: "Falsche Schwärmerei, graphisch verdeutlicht"), der nur noch in zwei Probedrucken existiert (heute im Besitz des British Museum, London, und der Achenbach Foundation for Graphic Arts, San Francisco). Eine erheblich veränderte Fassung wurde vom Künstler 1762 unter dem Titel Credulity, Superstition and Fanaticism (= Leichtgläubigkeit, Aberglaube und Fanatismus) veröffentlicht.

Wie man sieht, ist auf dem Blatt eine Menge los: Auf den ersten Blick nimmt man nur ein unübersichtliches Menschengetümmel in einer Art Kirchenraum wahr, denn rechts steht erhöht ein Prediger in der Kanzel. Der aber hält keine normale Predigt, sondern agiert wie ein Marionettenspieler. Manche der Versammelten scheinen nicht mehr Herr ihrer Sinne zu sein; einige sind sexuell aktiv, andere kauern melancholisch-stumpfsinnig vor sich hin. Links ist eine Frau in Ohnmacht gefallen. Einige der Anwesenden zerbeißen sogar Christusfiguren.

Der Ort des Geschehens mit den vergitterten Fenstern und die vom Wahnsinn gezeichneten Gesichter erinnern zunächst an ein Irrenhaus; gemeint ist aber ein Versammlungsraum der Methodisten, einer in Deutschland wenig bekannten, fanatischen, religiösen Erweckungsbewegung: Der Name des berühmtesten Methodistenpredigers der Zeit, "Whitefield", taucht gleich zweimal zentral in der unteren Bildhälfte auf: auf dem Halsband des jaulenden Hundes und auf dem Zettel, der am Pult des Küsters klebt. Eine "Skala des Schreiens" rechts neben der Kanzel spielt auf Whitefields machtvolle, von Zeitgenossen gerühmte Stimme an. Der "Höllenglobus" links an der Decke ist ein Seitenhieb auf die von der Kanzel verkündeten methodistischen Höllenvisionen, aber auch eine Anspielung auf den Methodistenprediger William Romaine, den man zum Professor für Astronomie ernannt hatte. Da der Prediger ein Harlekinskostüm unter dem Talar trägt, entpuppt sich sein Auftritt als Narretei. Offenbar wollte Hogarth mit seinem Stich das fanatische Sektierertum seiner Zeit diffamieren.

Doch eines macht stutzig: Der vermeintliche Methodistenprediger ist ein scheinheiliger Geselle, denn unter der Perücke, die ihm samt Heiligenschein vom Kopfe fliegt, offenbart der Protestant eine jesuitische Tonsur. Außerdem hantiert der Prediger mit biblischen Puppen, was ein echter Methodist nie tun würde, denn für ihn ist das Puppenspiel ein "unnützes", weltliches Vergnügen.

Nicht nur dies: Sieht man genauer hin, so werden in den Puppen mehr oder weniger wörtlich Figuren von Raffael, Dürer, Rembrandt und anderen bekannten Künstlern zitiert. So hat Hogarth in seiner Gottvaterpuppe fast wörtlich den Raffaelschen Gottvater von der Decke der Stanza d’Eliodoro des Vatikan kopiert, und die Petruspuppe wurde aus Rembrandts Radierung Petrus und Johannes an der Pforte des Tempels (1659) entliehen. Ferner spielen Hogarths Adam und Eva auf Dürers berühmten Kupferstich Der Sündenfall von 1504 an.

Kein Zweifel: Die mit parodistischer Absicht entlehnten Motive verweisen auf eine sekundäre, "kunsttheoretische" Sinnschicht, deren Botschaft sich an die Adresse der englischen Kunstkenner richtet: Da diese nur für alte Meister aus dem Ausland schwärmen, nicht aber für die aktuelle Kunst, die Hogarth produziert, werden sie mit religiösen Fanatikern auf eine Stufe gestellt. Mit der Szene ist also eigentlich eine Kunstauktion gemeint, auf der ein Bilderhändler enthusiastischen Kunstschwärmern "alte Meister" in Form von Puppen marktschreierisch anpreist.

Der Prediger kann deshalb als Bilderhändler interpretiert werden, weil zeitgenössische, für ihre Eloquenz gerühmte englische Auktionatoren (die gleichzeitig Bilderhändler waren) oft hinter erhöhten, kanzelähnlichen Auktionspulten standen, um sich während der Versteigerung von (meist gefälschten) "alten Meistern" beim Kennerpublikum das nötige Gehör zu verschaffen. Auch in Bildsatiren auf das englische Auktionswesen steht der Auktionator oft erhöht in einer Art Kanzel.

Dafür, dass der Prediger ein Bilderhändler ist, sprechen auch seine ausgestreckten Arme: Diese bilden einen Waagebalken, mit dem ein Teufel von Rubens gegen eine Gottvaterfigur Raffaels abgewogen wird. (Die Skizze und die Worte "the scales" in der Legende zum Londoner Probedruck beweisen, dass Hogarth tatsächlich an eine Waage gedacht hat.) Dass hier bevorzugt Werke von Raffael und Rubens am Waagebalken hängen, ist kein Zufall, denn in Roger de Piles' Balance des Peintres (1708), der zeitgenössischen "Hitliste" für "Kenner" der Malerei, belegen diese beiden Künstler gemeinsam den ersten Platz.

Der Erfolg der Auktion zeigt sich in der unteren Bildhälfte: Die Enthusiasten umarmen die angepriesenen "Kunst-Puppen", liebkosen sie und beginnen sogar, sich diese vor Begeisterung einzuverleiben, denn anstelle der Hostie beim Abendmahl werden vom Publikum Christusfiguren eucharistisch verzehrt, die Rembrandts Christus aus dem Hundertguldenblatt ähneln - eine Radierung, die damals auf dem englischen Kunstmarkt höchst gefragt war. Neben dem langen Gewand, dem zweispitzigen Bart und dem ums Haupt strahlenden Nimbus ist es besonders die Haltung des erklärend ausgestreckten rechten (vom Betrachter aus: linken) Armes, die bei Hogarths Christus-Puppen und Rembrandts Christus übereinstimmt.

Hogarth verspottet die Werke der alten Meister als Puppen, weil er mit den gleichen parodistischen Mitteln, wie sie die englische Satire damals pflegte und wie sie Shaftesburys "Test of Ridicule" (1708) empfahl, die von Kennern geschätzte Kunst und damit das Kunstverständnis eines "Connoisseurs" der Lächerlichkeit preisgeben will. Daher stellt Hogarth auch in der unteren Bildhälfte traditionelle Motive der sublimen Hochkunst in höchst profane Sinnzusammenhänge: Die verzerrten Gesichtszüge der Anwesenden orientieren sich an den extremsten Passionen, wie sie Charles Le Brun in seinen Ausdrucksstudien den Historienmalern zur Darstellung empfohlen hat. Der Höllenglobus spielt nicht nur auf traditionelle christliche Höllenvorstellungen an, sondern schaut auch "erstaunt" oder "verwundert" drein - ähnlich wie es Charles Le Bruns Ausdrucksstudien vorschrieben. Das Mädchen unter der Kanzel, dem sich ein Adliger unsittlich nähert, verkörpert Le Bruns "l'Amour Simple".

Die dunkelhäutige, melancholische Bettlerin vor dem Küsterpult imitiert mit ihrer Christuspuppe eine mütterliche, "süßküssende" Maria, wirkt zugleich aber auch michelangelesk. Die gefallene "Dame" links parodiert in blasphemischer Weise mit der bäuchlings auf ihrem Schoß liegenden Christusfigur eine vor Schmerz in Ohnmacht gefallene Gottesmutter aus einer manieristisch-barocken Beweinungsszene. So ähnelt Hogarths gefallene Dame in ihrer Haltung nicht zufällig der ohnmächtigen Maria aus Correggios Compianto su Cristo Morto.

Ein zerlumpter Jude, der wie ein Bettler Rembrandts wirkt und - blind dem Gott des Alten Testaments vertrauend - einem Isaakopfer Raffaels frönt, knackt, statt zu beten, mit den Fingern heimlich eine Laus. Er spielt auf einen gottesfürchtigen Propheten des Alten Testaments und gleichzeitig auf einen verzückten Götzendiener aus der antipapistischen Spottbildtradition an. Die Puttenengel, die den Küster flankieren, sind nicht nur mit Entenflügeln, sondern auch mit Entenfüßen ausstaffiert - ein Seitenhieb auf die der Wirklichkeit so sehr widersprechende Motivtradition der Cherubim. Der jaulende, Whitefield repräsentierende, "tolle" Hund ist ein traditionelles Predigersymbol.

Gleich an mehreren Stellen nimmt Hogarth die unterschiedlichen Darstellungsformen der Trinität satirisch aufs Korn - etwa in dem Dreifuß, den Gottvater hochhält, oder in dem Trinitätsdreieck mit Tetragramm zu Füßen der Taube des Heiligen Geistes, die das Stimmungsbarometer rechts bekrönt. Und er bringt die Figura piramidale der italienischen Renaissancekunst, an deren Spitze ein gebrechlicher Gottvater Raffaels schwebt, auf seinem Stich formal ins Wanken.

Den von Shaftesbury empfohlenen "Test der Lächerlichkeit" setzt Hogarth auch dann ein, wenn er auf seinem Stich zwei Kunstsphären miteinander verknüpft, die für den "Connoisseur" unvereinbar sind, und Bildzitate, die er der klassischen, hohen Kunst entlehnt, mit niederen, burlesken Elementen durchsetzt, wie sie die Niederländer malten. Durch diese Konfrontation von "vulgären" und vermeintlich sublimen Motiven werden die erhabenen Vorbilder, die der englische Kunstkenner so sehr schätzte, ebenfalls vollkommen entwürdigt. Und gleichzeitig mit dieser Erniedrigung negiert Hogarth das übliche Urteil der "Connoisseurs", das auf der akademischen Gattungslehre mit ihrem Regelkanon basiert. Einmalig in der Kunstgeschichte bis dato dürfte sein, dass Hogarth die Kunstkenner mit den Mitteln der Kunst, d. h. mit ihren eigenen Waffen, schlagen will und die verstaubte Kunsttheorie durch Aufnahme ihrer Regeln und ihrer vermeintlich sublimen Motive in seine "vulgäre" Bildwelt satirisch gegen die Connoisseurs selbst wendet.

Ganz nebenbei wurde auch die Datierungsfrage geklärt: Der undatierte Stich Enthusiasm Delineated muss zwischen April und Juni 1761 entstanden sein (und nicht, wie Ronald Paulson glaubt, bereits im Jahre 1759), denn der Galgenvogel, der mit Handschellen in der Kirchenbank sitzt, ist kein einfacher Dieb, sondern ein Porträt des Malers und brutalen Frauenmörders Theodore Gardelle, der am 4. April 1761 in London hingerichtet wurde.

Weitere Ereignisse des Jahres sprechen für das postulierte Entstehungsjahr 1761: Hogarth schrieb um diese Zeit an seinem Manuskript Apology for Painters, das die zeitgenössische, vom Kennertum propagierte Kunsttheorie kritisch reflektiert. John Oakly, ein Freund Hogarths, attackiert im April und Mai dieses Jahres die "Connoisseurs" in zwei Artikeln in The St. James's Chronicle, und der Komiker Samuel Foote parodiert just in jenem Jahr am Londoner Drury Lane Theatre mit zwei Schwänken (nämlich The Minor und Taste) den Fanatismus der Methodisten, eine Kunstauktion und die falsche Kunstbegeisterung von vermeintlichen "Connoisseurs".

Wenig früher, nämlich 1760, grenzte Samuel Foote den "genialen" künstlerischen Enthusiasmus eines Hogarth oder Raffael gegen die religiöse Besessenheit der Methodisten ab. Zudem wurden im Mai 1761 Joshua Reynolds' drei anonyme Idler-Briefe über die Malerei wiederveröffentlicht, die kritisch zum Kennertum und zur Nachahmungsproblematik Stellung nehmen und von den zeitgenössischen Malern mehr Enthusiasmus fordern. Und mit dem Küster, der zentral in der Bildmitte steht, könnte Samuel Johnson gemeint sein, hatte dieser doch Reynolds' drei Briefe 1759 in seiner Zeitschrift The Idler erstmals veröffentlicht.

Fazit: Wegen der vielen ironischen Zitate aus der hohen Kunst darf Enthusiasm Delineated als eine Art künstlerisches Manifest betrachtet werden. Mit diesem Blatt wollte Hogarth gegen Ende seines Lebens - und in didaktischer Absicht - seine sonst eher heimliche Praxis der Entlehnung offenlegen, sich aus den Werken anerkannter alter Meister einzelne Motive auszuborgen und diese "borrowings" in wenig hehre, aktuelle Sinnzusammenhänge zu integrieren. Im Gegensatz zu alternativen Interpretationen dieses Phänomens wird die von Hogarth auch in vielen andern Werken praktizierte "borrowing"-Methode erstmals als eine vorsätzlich vom Künstler inszenierte "Anti-Ikonographie" gedeutet, die dazu dient, die englischen Kunstkenner und Bilderhändler, die nur für alte Meister schwärmten, mit den Mitteln der versteckten Bildsatire zu blamieren.