Berliner Zeitung
Datum: 19.12.1998
Ressort: Feuilleton
Autor: Jens Bisky

Eine häßliche Welt in schönen Formen

Die Berliner Nationalgalerie zeigt Hogarths "Marriage A-la-Mode" und Werke seiner Bewunderer

Hätte die Nacht außer Haus sich gelohnt, säße der junge Herr nicht auf diese Weise erloschen im Sessel, er ließe die Beine gewiß nicht so gleichgültig fallen. Er schaut in den Raum, blickt zugleich nach innen und entdeckt in beiden Richtungen nichts, was ihn davon abhalten könnte, dem Betrachter das vollendete Gegenbild jeglicher Vitalität zu bieten. Aufwendig kostümiert wirkt er nichtig als Person wie seine sich triumphierend räkelnde Frau, die Flaschen und Fratzen auf dem Kamin und all die Scheußlichkeiten um ihn herum. Ein schwarzer Fleck unter dem Ohr verrät seine Krankheit: Syphilis. Jedes Detail des Bildes scheint dem Leben abgesehen, aber wenn der Wollüstige das Krankheitsmal am Hals trägt, wird man das kaum "realistisch" nennen wollen.

Das Gemälde ist das zweite von sechs, in denen William Hogarth (1697-1764) die Geschichte einer Ehe erzählt. Auf dem ersten Blatt schließen der reiche, aber nur bürgerliche Vater des Mädchens und ein verschuldeter Graf den Ehevertrag für ihre Kinder. Während Schuldscheine und Guineen die Besitzer wechseln, bahnt sich bereits die Affäre der Braut mit einem mittellosen Anwalt an. Das kann kein gutes Ende nehmen. Der Gatte sucht Abenteuer, sie betrügt ihn, er stellt das Liebespaar und wird erstochen. Ihr Geliebter wird hingerichtet, sie gebiert ein syphilitisches Kind und vergiftet sich. Hogarth zeigt eine rettungslos häßliche Welt und dennoch wirken seine Bilder komisch.

Erschöpft und entleert

Die sechs Gemälde "Marriage A-la-Mode" sind der Höhepunkt der Hogarth-Ausstellung im Alten Museum. Zwei von ihnen waren bereits auf der Ausstellung über "Fontane und die bildende Kunst" zu sehen. Nun kann man den Zyklus, was bisher nur in der Londoner National Gallery möglich war, im ganzen besichtigen und endlich auch in Berlin eine Vorstellung vom Maler Hogarth gewinnen.

Es ist wohl am besten, wenn man die großartigen Kupferstiche zunächst links liegenläßt und den Rundgang bei den Gemälden beginnt. In ihnen hat Hogarth das Muster einer Historienmalerei der bürgerlichen Welt etabliert. Wie auf dem Kaminsims im Haus der Eheleute eine pedantische Symmetrie die Aufstellung der Lappalien regiert, hat Hogarth seine Beobachtungen nach berühmten Mustern zu einer Welt geordnet, in der alles infiziert, erschöpft, entleert und angefressen aussieht.

Anfang der dreißiger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts hatte er begonnen, "modern moral subjects" darzustellen, Bilder aus dem zeitgenössischen Sittenleben. Das geschah zunächst sehr schlicht. Auf diesen frühen Blättern hat er seine satirischen Mittel entwikkelt, die er zunächst nur addierte. Die Alltagsbeobachtungen werden nicht eins zu eins abgebildet, sondern auf tradierte Formen und Pathosformeln der Kunst bezogen. Im Zusammentreffen eines verächtlichen Alltags mit ursprünglich idealisierenden Formen entsteht Komik. Dieses Verfahren wiederholt Hogarth gern im Bild selber, indem er die Räume seiner Protagonisten mit mythologischen Gemälden schmückt. Dabei verlieren Kunst und Leben ihren Anspruch auf unbedingte Gültigkeit. Die häßliche Welt scheint illegitim, die tradierte Form antiquiert und unangemessen. Beide gewinnen auch dabei, das Häßliche wird darstellbar, die Form so renoviert, daß sie neue Beobachtungen aufnehmen kann.

Im Zyklus "Marriage A-la-Mode" werden die Verfahren vollendet. Die Ermordung des Gatten auf dem fünften Bild ist komponiert wie eine Kreuzabnahme. Der vom Lärm aufgeschreckte Wirt der Absteige hält die Hand wie eine in Ohnmacht fallende Maria Rembrandts. Zahlreiche Bilder im Bild, modischer Nippes, aufgeschlagene Bücher und Zitate aus berühmten Gemälden, kommentieren das Geschehen, jeder Gegenstand fügt dem Ganzen einen unerwarteten Aspekt hinzu. Alles spricht. Ein Teil der Komik entspringt auch dem Glücksgefühl dessen, der die Zeichen zu lesen versteht. Georg Christoph Lichtenberg hat diese Sprache der Gegenstände, der Gesten und Blicke in Handlung übersetzt und in seiner Beschreibung des Zyklus Einsichten in die Komposition gewonnen, denen die akademische Kunstgeschichte sich heute erst annähert. In der Ausstellung sind die Kupferstiche zu sehen, die Lichtenberg in London kaufte, in Geldnot dann aber der Göttinger Bibliothek verkaufen und für seine Beschreibungen wieder ausleihen mußte.

Französische Stecher haben die Kupferstiche der "Ehe nach der Mode" besorgt. Daß diese Blätter einer um Nuancen anderen Logik folgen, sieht man nicht zuletzt daran, daß sie seitenverkehrt sind. Während im Kupferstich das Prinzip der Karikatur triumphiert, siegt in den Gemälden das individuell Charakteristische. Im Konflikt zwischen idealem Muster und realer Beobachtung entsteht das Bild des besonderen Individuums, dessen Schicksal die Gemälde in ihrer gekonnten Farbigkeit verlebendigen. Den Figuren wie dem Betrachter ist jeder Trost verwehrt. Die häßliche Welt in schönen Formen erscheint komisch, ohne auf ein Jenseitiges zu verweisen.

In der Ausstellung werden auch Radierungen Daniel Chodowiekkis gezeigt, der wie man sehen kann den Titel eines "deutschen Hogarth" mit Recht abgelehnt hat. Seine empfindsame Typisierung und seine positiven Vorbilder widersprechen der sich steigernden Lust Hogarths am abseitigen Detail. Unsinnig dagegen ist es, Werke von Buonaventura Genelli, Adolph Menzel und Max Klinger in die Hogarth-Nachfolge zu stellen. Nicht jede Karikatur geht auf ihn zurück. Genellis Umrißklassizismus, der das Böse mythologisch fixiert, widerspricht Hogarth geradezu. Hier suggeriert die Ausstellung eine Kontinuität, die es nicht gab, wenn man sie nicht im bloß Stofflichen suchen will.

Die Anordnung der Ausstellung verwischt die Einsicht, daß dem großen Neuerer Hogarth zwar hier und da die Reverenz erwiesen wurde, er aber Nachfolger nicht gefunden hat. Die noch zu seinen Lebzeiten beginnende Entdeckung des "Ich" dürfte das verhindert haben. Seinen charakteristischen, aus Maske und Abgrund zusammengesetzten Figuren fehlt der seelische Innenraum, aus dem die folgenden Generationen Trost und Schrecken kommen sehen.